Short Story (DE) – Die Wahrheit über Monster – eine angstlindernde Kindergeschichte

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Anna kann nicht schlafen. Eigentlich liegt sie schon eine ganze Weile im Bett. Aber sie hat Angst.

Es ist sehr dunkel draußen und Mama und Papa sind heute Abend nicht da.

Dafür ist Marianne da.

Marianne ist selbst noch keine Erwachsene. Sie ist größer als Anna und sie ist älter. Aber sie geht selbst noch zur Schule.

Anna ist 4. Sie geht noch nicht zur Schule, aber sie freut sich schon drauf. Weil sie dann auch eine von den Großen ist. Wie ihre große Cousine Nora. Die ist schon 7 und geht schon in die zweite Klasse und kann lesen und schreiben und rechnen.

Manchmal liest sie ihr etwas vor, wenn sie zu Besuch ist mit Tante Eva. Tante Eva sitzt dann immer mit Mama in der Küche und da trinken sie Kaffee und tratschen die ganze Zeit.

Marianne ist lieb. Anna mag Marianne. Aber Anna hat trotzdem Angst. Weil es draußen dunkel ist und weil da ein Schatten an der Wand war und weil sie glaubt, dass das ein Monster war. Und Marianne ist ja auch noch nicht erwachsen, die kann Anna auch nicht beschützen.

Also zieht Anna die Decke bis an die Ohren und blinzelt immer wieder zu diesem Schatten am Wandschrank. Der bewegt sich manchmal, glaubt Anna. Ein Monster ist das, weil die kommen immer, wenn’s dunkel ist und dann fressen die Kinder, denkt Anna.

Im Wohnzimmer raschelt was und Stimmen kann man auch hören, das ist bestimmt Marianne. Die sitzt im Wohnzimmer mit angeschaltetem Licht und braucht keine Angst haben, denkt Anna trotzig. Die kann lesen oder Fernsehen und fühlt sich ganz sicher, denkt Anna. Warum kommt die blöde Marianne nicht und guckt, ob alles in Ordnung ist?

Zum Glück hat Anna ihren riesengroßen Teddy mit im Bett, der ist fast so groß wie Anna selber und wenn Anna Angst bekommt, dann drückt sie ihn ganz fest an sich und beißt ihm ins Ohr.

Da bewegt sich der Schatten wieder, glaubt Anna. Und Anna ruft:“ Mariaaaaanne!“

Das Rascheln hört auf und die Stimmen sind auch plötzlich leise. Marianne hat wohl den Fernseher ausgemacht.

Dann hört Anna Schritte und die Tür geht leise auf.

„Mari-Marianneee!“ schluchzt Anna da. „Marianne, da ist ein Monster in meinem Schrank, ich weiß das ganz bestimmt! Da war ein Schatten und der hat sich bewegt und im Schrank rumpelt’s auch bestimmt und da ist ein Monster drin, ganz sicher!“

Jetzt sagt Marianne bestimmt, so ein Quatsch. Das sagt Mama immer. Anna, es gibt keine Monster, sagt sie dann. Dass Anna sich keine Sorgen machen und endlich schlafen soll, sagt sie.

Das sagt Marianne jetzt bestimmt auch, denkt Anna.

Aber Marianne sagt nichts. Sie guckt ganz lange den Schrank an und dann kommt sie an Anna’s Bett und setzt sich zu ihr auf die Bettkante.

„Weißt Du was?“ sagt Marianne dann. Ganz leise. „Ich glaube, Du hast Recht.“

Anna reißt die Augen ganz weit auf und zittert vor Angst. „Mariannee?“ schluchzt sie dann. „Will das Monster mich fressen?“

„Aber, aber!“ lacht Marianne und streichelt der Anna ganz lieb über die Haare.

„Ich erzähl Dir jetzt mal die Wahrheit über Monster, ja?“ Anna nickt. Und weil die Marianne jetzt bei ihr ist, traut sie sich auch, sich aufzusetzen.

Marianne rückt noch ein Stückchen näher zu Anna und dann fängt sie an, der neugierigen Anna die Wahrheit über Monster zu erzählen.

„Als ich noch kleiner war, Anna, so alt wie Du muss ich damals gewesen sein, da hatte ich genausoviel Angst vor Monstern wie Du. Ich hab im Bett gelegen und mich unter der Bettdecke versteckt. Und dann hab ich ein Monster kennengelernt.“

Anna reißt wieder die Augen auf. „Du hast ein Monster kennengelernt?“ ruft sie.

„Pssssscht..“ macht Marianne da. „Anna, Monster sind ganz anders, als Du denkst. Wenn Du ganz laut rufst, dann kriegt das Monster in Deinem Schrank Angst vor Dir und traut sich nicht mehr raus.“

Anna hört ganz gespannt zu. Sie kann eigentlich nicht glauben, dass das Monster vor IHR Angst haben soll. Sie ist doch nur die kleine Anna!

Marianne erzählt weiter. „Ich hab damals einen kleinen Hund gehabt. Der Tom. Der hat immer bei mir im Bett geschlafen und eines Nachts ist er in meinen Schrank gelaufen. Er hat ganz laut gefiepst, weil er wohl nicht mehr alleine herausgefunden hat. Und ich hatte so eine Angst, weil ich auch gedacht habe, ich hätte ein Monster in meinem Schrank. So wie Du jetzt.“

Anna nickt ganz energisch. Und guckt einmal ganz kurz ganz finster zum Schrank hinüber.

„Auf jeden Fall hat Tom so traurig gefiepst, dass ich es nicht übers Herz gebracht habe, ihm nicht zu helfen. Ich bin also ganz vorsichtig zum Schrank hinübergelaufen und habe die Tür aufgemacht. Und da saß mein Tom neben dem Monster in meinem Schrank.“

Anna klammert sich an Mariannes Arm fest. Sie hat so eine große Angst vor Monstern, dass sie sich sogar vor dem gruselt, was die Marianne da gerade erzählt.

„Dieses Monster,“ erzählt die Marianne weiter, „saß in der Schrankecke und hat so gezittert, wie Du jetzt. Und es hat gewimmert. Bitte tu mir nichts, hat es gewimmert, mit ganz leiser Stimme. Weißt Du, ich bin ein bisschen frecher gewesen als Du und da hab ich zu dem Monster gesagt, nur, wenn Du mir auch nichts tust. Und weißt Du, was das Monster gemacht hat?“

Anna schüttelt ganz kräftig den Kopf.

„Das Monster hat ganz große Augen gemacht und gestaunt. Aber ich tu Dir doch nichts, hat das Monster gesagt. Und dann hat es mir erklärt, dass Monster sich eigentlich ganz, ganz schnell verstecken können. Darum ist auch nie ein Monster im Schrank, wenn Deine Mama die Tür aufmacht, um nachzugucken. Aber das Monster war verletzt und konnte sich nicht so schnell verstecken. Und darum hab ich es gefunden. Es war wohl draußen zu schnell herumgelaufen und hat sich am Fuß verletzt. Da hat es mir leid getan und ich habe mich zu dem Monster und meinem Tom in den Schrank gesetzt. Und es hat mir wirklich nichts getan, Anna. Es war sogar ein lustiges Monster. Wir haben die ganze Nacht lang geredet und das Monster hat mir erzählt, wie Monster wirklich sind.“

Anna hat den Kopf inzwischen auf Mariannes Arm gelegt und hört ganz gebannt zu. „Wie sind Monster denn wirklich?“ fragt sie.

„Also, Monster sind ganz furchtbar schüchtern. Weißt Du, sie werden ja immer als ganz hässlich und gruselig und haarig und zahnig und düster beschrieben. Das stimmt leider. Die Monster sind so schüchtern, weil sie sich ganz hässlich fühlen und weil sie den Menschen keine Angst machen wollen. Siehst Du, sie sind nachts unterwegs, weil wir Menschen dann schlafen und weil die Monster zu lieb sind, um uns zu erschrecken. Aber nachts ist es dunkel und sehr kalt draußen. Und dann frieren sie ganz schrecklich.

Und wenn es den Monstern zu kalt wird, dann schauen sie nach Häusern, die dunkel aussehen. Sie wollen ja niemanden erschrecken. Also warten sie, bis die Hausbewohner entweder weg sind, wie Deine Eltern jetzt, oder bis sie schlafen, damit man sie nicht sieht und Angst bekommt.

Und dann schleichen sie sich hinein und verstecken sich im Schrank. Denn da ist es schön warm und im Schrank findet man sie nicht so schnell, weil sie sich so schnell verstecken können, bis Du zum Schrank gelaufen bist. Sie möchten da eigentlich nur eine Pause machen, bis ihnen wieder warm ist. Und dann schleichen sie sich wieder hinaus und gehen wieder zu ihren Freunden.

Ich habe das Monster gefragt, ob das wahr ist, das Monster Kinder fressen sollen. Da hat das Monster gesagt, dass es nie im Leben ein Kind essen würde! Monster essen doch am liebsten Heidelbeeren und Himbeeren und alles, was man an Sträuchern und im Wald so pflücken und naschen kann. Und am allerliebsten essen Monster Schokolade. So wie Du!“

Marianne stubst Anna mit dem Finger auf die Nase, als sie das sagt. Da muss Anna lachen.

„Die Monster können eben spüren, wer im Haus die reinste Seele hat, weißt Du? Sie sind selber so lieb, dass sie lieber im Schrank von wirklich netten Menschen Pause machen, als bei bösen Menschen. Und meistens sind eben die Kinder die liebsten Menschen im Haus, deshalb gehen sie immer ins Kinderzimmer. Das Monster hat mir erzählt, dass es schon ganz oft in meinem Schrank geschlafen und sich aufgewärmt hätte, weil es mich so gern mochte, und dass es schon oft so gerne mit mir gespielt hätte. Aber es hätte sich nie getraut, weil es so hässlich ist und ich dann Angst bekommen hätte. Und dann wäre das Monster sehr, sehr traurig gewesen. Monster sind so lieb! Wenn sie Dir Angst machen, dann werden sie richtig traurig. Wenn mein Monster damals nicht verletzt gewesen wäre, dann hätte es bestimmt nicht mit mir geredet und sich lieber versteckt.“

Marianne nickt zu Annas Schrank hinüber.

„Wollen wir wetten,“ fragt sie Anna, „dass das Monster bestimmt ganz unglücklich ist, weil Du Angst vor ihm hast?“

Anna guckt jetzt auch zu ihrem Schrank und wird selber ganz traurig. Sie stellt sich vor, wie das Monster in ihrem Schrank sitzt und ganz bitterlich weint, weil die Anna so eine große Angst vor ihm hat. Und da fängt sie fast selber an, zu weinen.

Marianne streichelt ihr wieder so lieb über die Haare, wie sie das auch macht, wenn Anna traurig ist oder sich sorgt oder quengelt. Das macht Anna immer ganz ruhig, weil es so schön ist, wenn Marianne das macht.

„Anna?“ sagt Marianne, „Weißt Du, das Monster wird sich wahrscheinlich erst wieder aus Deinem Schrank trauen, wenn es ganz sicher ist, dass Du schläfst, weil es Dich nicht erschrecken will. Und ich glaube, es ist Dir sehr dankbar, dass es sich hier ein bisschen aufwärmen durfte. Und es will bestimmt jetzt sehr gerne zu seinen Freunden und seiner Familie zurück.“

Anna nickt. „Marianne?“ sagt sie. „Ich möchte aber gar nicht schlafen, ich möchte auch mit meinem Monster reden und spielen, so wie Du. Möchte mein Monster das denn nicht?“

Marianne lacht.

„Weißt Du..“ sagt sie dann. „Ich glaube, Dein Monster ist noch sehr schüchtern. Warum zeigst Du ihm nicht, dass Du ein wirklich liebes Mädchen bist? Geh zur Schlafenszeit ins Bett, sag jede Nacht freundlich Gute Nacht zu Deinem Schrankmonster.. Vielleicht sagst Du am nächsten Morgen auch Guten Morgen, falls es noch da ist? Und wenn Du nicht schlafen kannst, erzählst Du Deinem Schrankmonster eine schöne Geschichte. Vielleicht eine, die Du von Deiner Mama am liebsten hörst?“

Anna nickt ganz energisch. Ihr gefällt der Gedanke, ihrem Monster Geschichten zu erzählen.

„Und vielleicht,“ erklärt Marianne, „kennt Dich Dein Monster irgendwann so gut und hat so wenig Angst vor Dir, dass es sich sogar aus Deinem Schrank heraus traut und wirklich mit Dir spielen will?“

Anna nimmt sich vor, sich ganz lieb um ihr Schrankmonster zu kümmern. Sie freut sich schon so sehr darauf, irgendwann mit ihrem Monster zu spielen!

Und ganz plötzlich hat sie es sehr eilig, Marianne Gute Nacht zu sagen.

Schließlich hat sie ihrem Monster noch eine Gute-Nacht-Geschichte zu erzählen.

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